Den Kindern die Väter!
Europäischer Gerichtshof beendet jahrzehntelange Diskriminierung.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte mit seinem Urteil vom 03.12.2009 das Sorgerecht vieler Väter in Deutschland gestärkt. Die Richter gaben einem Kindesvater aus Köln recht, der seit vielen Jahren darum kämpfte, an der Entwicklung und Erziehung seiner Tochter teilhaben zu dürfen.
Dem Urteil zufolge verstößt die bisherige Regelung, wonach ledige Väter ein gemeinsames Sorgerecht nur mit Einwilligung der Kindermutter erhalten können, gegen das Diskriminierungsgebot der Europäischen Menschenrechtskonvention und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
Die Ausgestaltung des Sorgerechts hat in Deutschland eine recht wechselvolle Geschichte. Ein einheitliches Kindschaftsrecht gab es erstmals mit Inkraftreten des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahre 1900; der Kindesvater hatte damals die volle Entscheidungsgewalt für das Kind. Im Osten Deutschlands bekamen Mütter nichtehelich geborener Kinder bereits im Jahre 1950 die sogen. volle elterliche Gewalt (ab 1965 fand sich eine entsprechende Regelung im Familiengesetzbuch, § 46) ; in Westdeutschland geschah dies erst 1969. Nach der sogen. Kindschaftsrechtsreform 1998 fiel das Sorgerecht bei Scheidungen in der Regel den Kindesmüttern zu. Ein nichtsorgeberechtigter (lediger) Vater konnte bisher nicht über die Geschicke seines Kindes und dessen Erziehung mit entscheiden; ihm verblieb lediglich das Rechts auf Umgang mit dem gemeinsamen Kind. Nach (bisher) geltendem Recht erhielt der Kindesvater nur dann das Sorgerecht für das gemeinsame Kind, wenn die Kindesmutter zustimmte.
Das Sorgerecht ist das Recht, wichtige Entscheidungen für das Leben des Kindes zu treffen, zum Beispiel Wohnsitz, ärztliche Behandlungen und anderes mehr. Im Alltag gibt es einige Entscheidungen, die für das gemeinsame Kind getroffen werden müssen; haben beide Eltern das Sorgerecht, können diese nur gemeinsam getroffen werden. Hat der (ledige) Vater kein Sorgerecht, darf er beispielsweise von den behandelnden Ärzten nicht zum Zustand des Kindes informiert werden.
Auch bei der Anmeldung zum Kindergarten und das Mitspracherecht bei der Schulwahl und bei der Bestimmung notwendiger medizinischer Behandlungen blieb der Kindesvater bisher außen vor.
Bis vor kurzem war Deutschland familienpolitisch Schlusslicht in Europa im Hinblick auf die Ausgestaltung gemeinsamer Rechte und Pflichte der (unehelichen) Kindeseltern. Obgleich in Deutschland jedes dritte Kind unehelich zur Welt kommt (in den sogen. neuen Bundesländern sind es fast 60 %) entsprachen die bisherigen Regelungen dem Familienrecht des alten Jahrhunderts. Bisher wurde unterstellt: ehelose Mütter sind nach einer Trennung durchweg besser für die Kindeserziehung geeignet als Väter, nur die Ehe ist Garant für das Kindeswohl (! ?). Allerdings gab es keinerlei Studien, die belegen, dass ein abwesender Vater für das Kind bzw. das Kindeswohl förderlich ist. Noch im Jahr 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht die Ausschlussmöglichkeit der Väter vom Sorgerecht gebilligt.
Nunmehr gab es eine 180-Grad-Wendung der Richter des Bundesverfassungsgerichts, nachdem zuvor der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Kammerurteil vom 03.12.2009 220 28/04) im Dezember 2009 unter anderem gerügt hatte, dass die deutschen Regelungen zum Sorgerecht die Kindesväter diskriminiere und damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.
In seiner Anfang August 2010 veröffentlichten Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht (Beschluss des 1. Senats vom 21.07.2010 – 1 BvR 420/09) nunmehr fest, dass der Automatismus, mit dem das Sorgerecht bei ledigen Eltern immer zunächst auf die Kindesmutter übertragen werde, nicht verfassungsgemäß sei. Es greife unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters ein, wenn er generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen sei, sobald die Mutter des Kindes ihre Zustimmung verweigere. Dem Kindesvater müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, die Übertragung gerichtlich überprüfen zu lassen, wobei das Wohl des gemeinsamen Kindes im Mittelpunkt steht.
Künftig sollte die gemeinsame Sorge keine Rechtsposition sein, die man sich erstreiten muss, sondern von Anfang an sollte das gemeinsame Sorgerecht für beide Elternteile, unabhängig davon, ob diese verheiratet sind oder nicht, der Regelfall sein und so beide Elternteile in die Pflicht genommen werden. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung muss das Recht der Kinder von den Vätern ggf. durch Antragstellung beim Familiengericht durchgesetzt werden.
Anders als bisher hat der (ledige) Kindesvater beim Familiengericht nun ein *Antragsrecht zum Sorgerecht*; das Familiengericht kann das gemeinsame Sorgerecht festlegen, die Teilung des Sorgerechts oder auch das alleinige Sorgerecht des Vaters beschließen.
Dabei soll das gemeinsame Sorgerecht den Vorrang vor dem alleinigen Sorgerecht haben; maßgeblich für die Entscheidung des Familiengerichts ist nach wie vor das Kindeswohl. Das Recht der ledigen Kindesmutter, mit einfachem Veto das gemeinsame Sorgerecht zu verhindern, ist Vergangenheit! Insoweit muss keinesfalls abgewartet werden, dass der deutsche Gesetzgeber die sorgerechtliche Diskriminierung lediger Väter und ihrer Kinder durch Abschaffung der bisherigen Regelung bzw. Verabschiedung einer gesetzlichen Neuregelung ausgestaltet. Wenn die Kindesmutter das gemeinsame Sorgerecht verweigert, hat nunmehr der Kindesvater die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung.
Als letztes EU-Land hat Deutschland mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ledigen Vätern die Möglichkeit auf das Sorgerecht für das gemeinsame Kind eröffnet. Mit dieser Entscheidung, noch vor einer gesetzlichen Neuregelung, können Väter ab sofort das gemeinsame Sorgerecht und in Ausnahmefällen auch das alleinige Sorgerecht bei den Familiengerichten beantragen.
Primär geht es um das Kind und dessen Wohl; *das Kind hat ein Recht auf beide Elternteile* und diese müssen sich im Sinne ihres gemeinsamen Kindes arrangieren.
Für den Fall, dass das Sorgerecht gemeinsam ausgeübt wird, müssen wichtige medizinische und auch schulische Entscheidungen gemeinsam getroffen und unterzeichnet werden. Wer sich also für das gemeinsame Sorgerecht entscheidet, sollte sich auch darüber im Klaren sein, welche Verantwortung damit verbunden ist.
Auch wenn das gemeinsame Kind dann überwiegend bei der Mutter bzw. dem Vater lebt, müssen letztendlich beide entscheiden. Gerade wenn die Kindeseltern räumlich getrennt leben, kann eine weite Entfernung auch zu Problemen führen, die man auf den ersten Blick gar nicht erkennen kann. In alltäglichen Dingen hat das gemeinsame Sorgerecht eher geringe Auswirkungen und nur in seltenen wirklich wichtigen Dingen muss es eine Abstimmung zwischen den Kindeseltern geben. In Notfällen kann ein sorgeberechtigter Elternteil auch allein entscheiden.
Das Bundesverfassungsgericht hat davon abgesehen, dem Gesetzgeber einer Frist zu setzen, bis wann ein neues Gesetz zum Sorgerecht für uneheliche Kinder in Kraft treten muss. Stattdessen gilt eine Übergangslösung; uneheliche Väter können ab sofort beim Familiengericht das gemeinsame bzw. das alleinige Sorgerecht beantragen, ohne dass die Kindesmutter – wie bisher – ohne Angabe von Gründen das Sorgerecht verweigern kann.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist der erste und auch wichtige Schritt in Richtung Umdenken beider Elternteile, dass ein Kind ein Recht auf beide Elternteile hat und diese sich zugunsten des Kindeswohls verständigen müssen.
Bis eine gesetzliche Neuregelung in Kraft tritt, sollen Familiengerichte nach Anordnung des Bundesverfassungsgerichts den Eltern auf Antrag eines Elternteils die Sorge für das gemeinsame Kind gemeinsam übertragen, soweit zu erwarten ist, dass „dies dem Kindeswohl entspricht“. Dem Kindesvater sei auf Antrag die alleinige Sorge zu übertragen, „soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht“.
Das Hamburger Abendblatt titelte am 04.08.2010 „Ein Sieg für unverheiratete Väter“; tatsächlich ist es aber vor allem auch ein Sieg für die vielen unehelichen Kinder, die nunmehr keine Kinder zweiter Klasse mehr sind. Zutreffend stellt „Welt-Online“ fest, dass die Kinder am meisten vom neuen Sorgerecht profitieren und insoweit einigen Kindesmüttern nun endlich „die alten, überkommenden Denkweisen ausgetrieben …“ werden. Uneheliche Kinder haben nunmehr die gleichen Rechte wie eheliche, uneheliche Väter wurden nun endlich verheirateten Kindesvätern gleichgestellt; das Familienrecht in Deutschland hinkt nunmehr nicht mehr der Lebenswirklichkeit hinterher – Willkommen im 21. Jahrhundert!
Die „Berliner Zeitung“ führt unter der Überschrift „Realistisches Sorgerecht“ unter anderem aus: „Dankenswerterweise hat sich (die Justizministerin) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nun vorgenommen, das Sorgerecht der Lebenswirklichkeit anzupassen und das gemeinsame Sorgerecht zum Regelfall zu erklären“.
Autor: Rechtsanwalt Unnau, Stendal
Quelle: Volksstimme vom 9. Oktober 2010
Weitere Informationen unter Väteraufbruch für Kinder e. V.